Land & Leute

Im Nachtzug nach Lissabon.

Wanderer sind Reisende und verstehen ihre Fortbewegung als authentisch, ehrlich und nachhaltig. Sie sind unterwegs mit natürlicher Geschwindigkeit. Wanderer reisen aus eigener Kraft, geistig wie körperlich, also ganzheitlich und nehmen sich Zeit. Nur so lernen sie ihre Umwelt, ein Land, die Leute, Flora und Fauna einer Region wirklich kennen.

Die einen gehen schneller, die anderen langsamer. Wir aber gehen erst einmal einen kleinen Schritt weiter. Um in Portugal zu wandern, müssen wir dahin gelangen. Können wir uns guten Gewissens und bedenkenlos in einen Flieger setzen? Bedarf es nicht auch der nachhaltigen An- und Abreise? An dieser Frage können wir Wanderer uns nicht mehr mit Ausreden vorbeimogeln. Hinfliegen, wandern, zurückfliegen? Während eines Fluges von Berlin nach Faro ist jeder Passagier für die Emission von mehr als 1.000 Kilogramm CO2 verantwortlich. Nun bieten diverse Stiftungen Klimakompensationen an. Wie aber können wir wandern gehen und uns gleichzeitig auf einen Ablasshandel mit Klimazertifikaten einlassen? Ein sauberes Gewissen lässt sich wirklich nicht kaufen.

Dass es auch anders geht, beweist uns die Bahn in Europa. Wir können klimafreundlich reisen, wenn wir es wollen. Es geht nicht nur um den Verzicht auf fossile Brennstoffe, sondern auch um mehr Bescheidenheit. Die werden wir nur leben, wenn wir uns genau überlegen, was wirklich nötig ist und was nicht. Ist das Flugzeug als Fortbewegungsmittelm das non plus ultra? Verbessern wir damit die Lebensmöglichkeiten zukünftiger Generationen? Wir wollen uns beim Wandern entschleunigen und aktiv an der Verringerung schädlicher CO2 Emissionen teilhaben? Das geht Hand in Hand. Wir haben also die Möglichkeit, den Ausgangspunkt dieser Wanderung mit der Bahn zu erreichen: Lissabon, Faro.

Egal, ob man von Frankfurt, Stuttgart, Zürich, München oder Wien, Köln, Dortmund, Hamburg oder Berlin anreist. Jeder Wanderer kann über Paris und Irun einfach und im Nachtzug nach Lissabon Portugal erreichen. Die Reisezeit beträgt einen Tag hin und einen Tag zurück. Wenn einem die Zugfahrt zu viel wird, hält man irgendwo an, macht eine Tagesrast am Meer oder in den Bergen der Pyrenäen. Wir machen beim Wandern auch immer eine Rast, bevor es uns zu viel wird. Auch bei der Via-Algarviana lassen wir uns Zeit, um von Alcoutim ans Südwestkap Europas zu gelangen: 330 Kilometer in 14 Wandertagen. Wir wandern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von höchstens vier Kilometern. Gönnen wir uns also schon mal Entschleunigung auf dem Hin- und Rückweg, auch der Gesundheit zuliebe.

Diese Wandertour zu einer runden Sache machen? Bei einer Bahnfahrt nach Portugal werden nicht einmal 50 kg CO2, also nur fünf Prozent der CO2-Menge eines Flugzeugs ausgestoßen. Und noch etwas: Wir Wanderer sind Naturfreunde, auch was unsere Ernährung anbelangt, authentisch, landestypisch und traditionell; abwechslungsreich, auch manchmal vegetarisch. Freuen wir uns also auf eine Wandertour, die uns gut tun wird. Jede Wandertour ist ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung.

Wir könnten natürlich auch wie Martin Behaim (von Schwarzbach) im Jahre 1484 von Nürnberg nach Flandern reiten, um von dort eine Schiffspassage mit dem Segelschiff nach Lissabon zu unternehmen. Oder einfach wie Jürgen Kahlisch machen: er wanderte in sechs Monaten von Berlin über Paris nach Portugal und ist einer von uns…


Die Landflucht

Immer mehr Menschen leben in Städten. Auch Portugal hat sich während zweier Generationen und nach der Nelkenrevolution von 1974 an den Küsten immer mehr zu einem Speckgürtel entwickelt. Das ist gewissermaßen durch das leichte und billige Geschäft mit dem Tourismus und die Perspektive auf Arbeit und Lohn für junge Menschen entstanden. Geldverdienen als Ausdruck von Sinnfindung und gleichzeitiger Verkümmerung gewachsener sozialer und kultureller Strukturen des Hinterlandes, der Dörfer. In manchen Landkreisen des Hinterlandes der Algarve und des südlichen Alentejos leben keine sechs Einwohner mehr auf einem Quadratkilometer. Beispiel Alcoutim. 576 km2 und 2.917 Einwohnern verteilt auf fünf Gemeinden: Alcoutim, Martinlongo, Pereiro, Giões und Vaqueiros.

Dort beginnt die Via-Algarviana, der alte Pilgerweg des Heiligen Vinzenz. Der Namen Via-Algarviana ist ein Synonym für eine Wegstrecke, die durch das Hinterland Portugals, genauer gesagt, durch die nördliche Algarve von Nordost nach Südwest führt. Die Küste und ihr Ballungsraum verlaufen während in weiter Ferne. Die Wanderung führt durch das Hinterland, durch seine Natur, über die Berge und Flüsse. Wir begegnen meist älteren Menschen, die Zurückgebliebenen, die hier und da noch authentisch leben und arbeiten. Da ihre Rente kaum zum Leben reicht, arbeiten die meisten alten Menschen in Portugal. Für viele wohlstands-verwöhnte Nordeuropäer ist das sicherlich ein Ausdruck von Armut. Aber ist es das wirklich?

Es gibt kein falsches Leben im Richtigen.

Auf unserer Wanderung kehren wir u.a. bei der Familie von Senhor Henrique und Doutora Maria José in Furnazinhas ein, einem Dorf, das wir am zweiten Tag per pedes nach 14 Kilometern erreichen. Dort nächtigen wir im Casa do Lavrador, (lavrar terra = Erde pflügen) einem restaurierten ehemaligen Bauernhof. Dona Olivia, 74 Jahre alt und eigentlich bereits lange in Rente, bereitet uns am Morgen des dritten Wandertages das traditionelle Frühstück: mit Honig und Marmeladen aus der eigenen Küche, mit frischem Käse von den Ziegen, Schinken und Chouriço vom schwarzen Schwein, Orangen und Klementinen aus eigenem Obstgarten und einem Bela Luisa-Tee vom heimischen Teestrauch. Warum arbeitet Dona Olivia eigentlich noch, fragt der eine oder andere bisweilen. Nur mit Geduld erfahren wir mehr von den Menschen, ihren Dörfern, ihren Traditionen, ihrem Leben, erfahren wir ihre ganz persönlichen Geschichten, die sich allmählich zu einem Bild formen.

Zusammen mit meinen portugiesischen Kollegen João, Miguel und Carlos habe ich über dieses Leben einen Dokumentarfilm gedreht und schreibe an ein Buch. Beide tragen den Titel Erben der Revolution. Der Film hat eine Länge von knapp 60 Minuten. Dort kommen die Menschen zu Wort, denen wir bei unseren Wanderungen begegnen werden. Sie erzählen von ihrem Land, ihrem Leben in der Einsamkeit mit der Natur, den Tieren und von ihrer Arbeit. Mehr darüber können Sie unter „Der Film“ auf dieser Website erfahren.

Am dritten Wandertag begegnen wir Senhor Manuel Teixeira, dem letzten Einwohner des Dorfes Ferrarias in der Gemeinde Vaqueiros. Seit neun Jahren lebt der 83-jährige Bauer allein, nur mit seinen 14 Katzen und mehreren Eseln. Er bestellt weiterhin seinen Acker mit Kartoffeln, Zwiebeln, Bohnen, Kürbis, Tomaten und vielen anderen Gemüsen. Im Gästehaus der Maurischen Minen übernachten wir. Dort lebt Manuel Teixeira in einem Nachbarhaus und pflegt die Tiere des Landgutes.


Nach Vaqueiros beginnen die Berge und der Weg führt uns hinauf in die Serra do Caldeirão. Vorbei an Medronho-Büschen und Bienenstöcken, durch Korkeichenhaine und an Eukalyptusplantagen erreichen wir Cachopo im Landkreis Tavira und Dona Otilia. Sie zeigt uns Produkte ihrer Arbeit, die aus dem Naturprodukt Flachs angefertigt werden, auch das Spinnen und wie ein Webstuhl funktioniert: ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk. Über Feiteira, Cortelha, Salir wandern wir Richtung Alte. Die Hälfte der Wanderung ist geschafft.

Traditionelle Subsistenzwirtschaft der Bauern und alte maurische Brunnen begegnen uns auf unserem Weg. Wir besuchen Idálio Ramos Martins in den Bergen von Portela de Nave. Er macht Frischkäse, verarbeitet die Milch seiner rund 150 Ziegen. Der 31-jährige Martins gehört zu den wenigen Jungen der Region, die geblieben sind und eine Käserei gründeten.

In den Bergen von Silves treffen wir hingegen auf die Forstwirtschaft der Papierindustrie. Eukalyptusplantagen sind ein Grund, warum es in Portugal immer wieder in den Sommern und bei Temperaturen von mehr als 45 Grad Celsius brennt. Eukalyptuswälder sind hochexplosiv. Während traditionelle Wälder aus Kork- und Steineichen, aus Johannisbrot- und Kastanienbäumen etc. sehr selten brennen, ist Eukalyptus aufgrund seiner ätherischen Öle für jeden Waldbrand das Öl fürs Feuer. Fünf Prozent aller portugiesischen Exporte gehen auf das Konto der extrem umweltschädlichen Papierindustrie. Die Aktiengesellschaft Portucel/Soporcel macht mit Eukalyptus einen Umsatz von knapp zwei Milliarden Euro pro Jahr (2012). Doch wo Eukalyptus angepflanzt wird, wächst auch kaum noch eine andere Pflanzen- oder Baumart. Die Wurzeln dieses schnellwachsenden, energieintensiven Baumes saugen das gesamte Wasser – bis hin zum Grundwasser – für die eigene Ernährung ab. Monokulturen der Eukalyptuswälder begleiten uns in der Region der alten maurischen Stadt Silves.

Am achten Tag wandern wir hinauf ins Gebirge. Die Fonte Santa, eine mittelalterliche Quelle mit Badehaus liegt abseits der Route und wird auf der offiziellen Route der Via-Algarviana nicht erwähnt. Der Pilgerweg aber führt an ihr vorbei und hoch ins Bergland. Wir ändern die Wegeführung und wandern nach Caldas de Monchique. Wir betreten die grüne Lunge und das Wasserschutzgebiet der Algarve. Überall treffen wir auf Quellen, die sich in Bäche ergießen und bergab ins Meer fließen. Ein Tag, an dem unsere Wasserflaschen ohne Probleme wieder aufgefüllt werden können.

Im Gebirge von Monchique besuchen wir den jetzt 75-jährigen Bauern Senhor António de Encarnação. Er bestellt immer noch jedes Jahr seine Felder und setzt Kartoffeln, sät Mais, Bohnen und viel anderes Gemüse. Er hält sich ein paar schwarze Schweine und destilliert einen der besten Medronho-Brände, die das Land hervorbringt. Auf einem alten engen Pfad steigen wir bergan auf den 776 Meter hohen Picota. Beim Abstieg durchwandern wir den schönsten Korkeichenwald des Südens, treffen auf eine Wassermine und erreichen das Bergdorf Monchique. Am Nachmittag geht es wieder bergauf und an den Ruinen des alten Konvents vorbei hinauf zum 902 Meter hohen Foía in eine Bergwelt mit Ziegen, Schafen und Kühen, die sich frei bewegend auf den nördlichen Terrassen des Bergdaches weiden. Die 27 Kilometer lange Tagestour ist die Königsetappe der Langstreckenwanderung.

Vom Dach der Algarve genießen wir bei guter Witterung erstmals den Blick auf das Südwestkap in 70 Kilometer Entfernung. Meer im Süden und Westen – der Atlantik, soweit das Auge reicht. Wir wandern nach Barão São João und Vila do Bispo. Senhor Manuel António Violante übt dort noch den Beruf des Schäfers aus. Meist treffen wir ihn mit seinen Ziegen und Schafen in der Heidelandschaft vor dem Kap. Nicht alle Geheimnisse und nicht jeden Zauber dieser Wanderung können an dieser Stelle verraten werden. Der Weg ist das Ziel, Wanderer! Jede Wanderung ist einzigartig in ihren Reise-Erlebnissen. Machen wir uns also auf zum Südwestkap mit seinem einzigartigem Leuchtturm, 270 Grad vom Wasser des Ozeans umgeben. Bei gutem Wetter nehmen wir auch ein Bad im Meer…

Nächste 14-tägige Wanderung in 2024 über Ostern jetzt vormerken: info@via-algarviana.com